Prinzhorn

Verrückt? Kunst? Krankheit? – Oder einfach nur die Sehnsucht nach einem anderen Leben? Die Texte, Bilder und Skulpturen von Patienten psychiatrischer Kliniken der Sammlung Prinzhorn werfen Fragen auf.

Projekt Prinzhorn
Projekt Prinzhorn

Der Fluchtpunkt liegt in der Zukunft: Die ersten fünf Auftragskompositionen des KlangForum Heidelberg nach Texten und Werken aus der Sammlung Prinzhorn entstanden zur Eröffnung des neuen Heidelberger Museumsgebäudes. Nach der Uraufführung am 13. September 2001 durch die SCHOLA HEIDELBERG und das ensemble aisthesis unter der Leitung von Walter Nußbaum brachte das „Projekt Prinzhorn“ bisher zwei Dutzend Werke von 22 Komponisten hervor, die auf renommierten Festivals der Neuen Musik aufgeführt und vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk produziert und verbreitet wurden.

Komponisten, Werk (Jahr der Uraufführung)

Cornelius Schwehr, schlafen, träumen, singen (2001)

Steffen Schleiermacher, Muzika (2001)

Michael Reudenbach, kommen - Überschreibungen (2001)

Bernd Asmus, Madrigal (2001)

Caspar Johannes Walter, krumme dinger 1, krumme dinger 2 (2001), krumme dinger 3 (2002)

Friedrich Jaecker, von dir gehn (2005)

Steffen Schleiermacher, Der Fingernase fehlt die Schädeldecke (2005)

Johannes Nied, Wie die Knosp am Rosenstock (2005)

Thomas Stiegler, Und.Ging.Außen.Vorüber. II (2005)

Cornelius Schwehr, ohne Ufer, eine Einladung (2005)

Caspar Johannes Walter, Schattenrufe (2006)

Jan Kopp, Grenzen der Verantwortung (2006)

Uwe Lohrmann, … erlaube ich mir, an die Seelenwanderung zu glauben … (2007)

Jay Schwartz, Music for Six Voices III (2008)

Matthias Kaul, fremd, bestimmt (2008)

Matthias Ockert, Primum Mobile (2008)

Nigel Osborne, Naturtöne/Abschied (2008)

Johannes Kalitzke, -inn Stufender sonderung (2008)

Georg Friedrich Haas, Arthur F.Becker (od.Buhr?) (2010)

Michael Maierhof, Exit B (2010), Exit D (2011)

Stefano Gervasoni, Horrido (2011)

Gérard Buquet, Die Malerin von Bellevue (2012)

Naomi Pinnock, The writings of Jakob Br. (2013)

„Ungeübte Geisteskranke, besonders Schizophrene, schaffen nicht selten Bildwerke, die weit in den Bereich ernster Kunst ragen und im Einzelnen oft überraschende Ähnlichkeiten zeigen mit Bildwerken der Kinder, der Primitiven und vieler Kulturzeiten. Die engste Verwandtschaft aber besteht zu der Kunst unserer Zeit [...] Wir haben mit Hilfe der Bildwerke einen neuartigen Einblick in das Seelenleben der Kranken gewonnen [...]. Die Abgrenzung unserer Bildwerke von bildender Kunst ist heute nur auf Grund einer überlebten Dogmatik möglich. Somit sind die Übergänge fließend.”

(Hans Prinzhorn, Bildnerei der Geisteskranken: ein Beitrag zur Psychologie und Psychopathologie der Gestaltung, 1922)

Mit dem 2014 erschienenen Buch ungesehen und unerhört 2 – Künstler reagieren auf die Sammlung Prinzhorn, herausgegeben von Ingrid von Beyme und Thomas Röske im Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2014, werden die Prinzhorn-Werke des KlangForum Heidelberg zum ersten Mal gesammelt und veröffentlicht. Der aufwändig gestaltete Bildband enthält neben ausführlichen Texten zur Geschichte der Sammlung Prinzhorn auch vier CDs mit Ersteinspielungen der meisten Auftragskompositionen.

Die Kompositionen des „Projekts Prinzhorn“ fanden beim begeisterten Publikum sowie in Presse und Rundfunk regional und international große Resonanz: in einer eigenen Veranstaltungsreihe in Heidelberg, bei den Tagen für Neue Kammermusik in Witten, in Darmstadt (EUMETSAT), Frankfurt (Sendesaal des Hessischen Rundfunks), beim Tongyeong International Music Festival in Südkorea, in Leipzig beim mdr Musiksommer und bei der Romanischen Nacht in Köln.

Hans Prinzhorn (1886–1933), Kunsthistoriker und Assistenzarzt der Heidelberger Psychiatrischen Klinik, hat zwischen 1919 und 1921 eine einzigartige Sammlung Bildwerke und Aufzeichnungen von Psychiatrie-Patienten begründet. Ihr Bestand umfasst später 6000 Zeichnungen, Aquarelle, Gemälde, Skulpturen, Textilien und Texte, geschaffen zwischen 1840 und 1945 von Insassen psychiatrischer Anstalten. Seit 1980 wird die Sammlung weiter um Werke von Psychiatrie-Erfahrenen ergänzt. Prinzhorn begriff seinen Fundus vorausschauend als Sammlung von Bezugspunkten der Avantgarde. Statt Krankheitsprotokollen sah er künstlerische Äußerungen.

Das „Projekt Prinzhorn“ hat diese Perspektive bis in unsere Gegenwart verlängert.